Selten zuvor war eine Bundestagswahl bereits im Vorfeld dermaßen spannend wie jene im kommenden Jahr. Die SPD ist intern zerstritten, gleiches gilt für die Linkspartei, in der Union ist auch nicht alles eitel Sonnenschein, der FDP droht der Fall ins Nirgendwo, die Grünen suchen ihr Seelenheil in der Basis. Ach ja – die Piraten outen sich vermehrt von selbst! Dieses Geplänkel einige Monate vor den Wahlen tut keiner Partei gut, ist jedoch symptomatisch für das derzeitige politische savoir vivre in Deutschland. Versuchte man in früheren Zeiten noch, dem anderen die Wähler abspenstig zu machen, so sind die Parteien heutzutage darum bemüht, die Bundesbürger überhaupt zu den Wahlurnen zu holen und nicht an die große Armee der politikverdrossenen Nichtwähler zu verlieren.
SPD-Chef Sigmar Gabriel wollte es spannend machen wie noch nie und ließ die sozialdemokratische Kanzlerfrage bislang offen. Doch – was er nicht erwartet hatte: Die Partei hat sich entzweit! In die Lager Steinbrück und Steinmeier. So setzt der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück mehr in wirtschaftspolitische Themen: eigener Rettungsschirm und Verbot der Rohstoffspekulationen. Allerdings existieren offenbar Konflikte zwischen seinem sozialdemokratischen Verständnis und jenem der Mehrheit in der Partei. Daniel Goffart (Parlamentsredakteur des Nachrichtenmagazins "Focus") bezeichnet Steinbrück als einen "intellektuellen Überflieger", der für eine neue Ausrichtung der Partei stehen könnte. Steinmeier hingegen versucht einen gemäßigten sozialdemokratischen Kurs mit klarer Abgrenzung gegenüber links außen. Zwei Meinungen innerhalb der SPD – es wird bis aufs Schärfste diskutiert – da helfen auch die beruhigenden, jedoch durchaus mahnenden Worte des sozialdemokratischen Urgesteins Helmut Schmidt nichts. Dies bekommt Gabriel nun am eigenen Leib zu spüren: Als er sein Rentenprogramm vorgestellt hat, hagelte es v. a. parteiintern Kritik. Nun hat
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er das überarbeitete Konzept präsentiert – die Gewerkschaften und die Jusos laufen Sturm gegen die Senkung des Rentenniveaus von heute 51 auf künftig 43 % des Nettodurchschnittsverdienstes. Die Arbeitnehmervertreter befürchten, dass dadurch auch die Renten der heute mittleren Einkommen in die Nähe der Armutsgrenze geschoben werden. Anscheinend muss Gabriel nun selbst klein bei geben und das Kanzler-Rätsel so rasch wie möglich aufklären, die Partei wieder einen, bevor noch mehr Schaden angerichtet wird. Eigentlich hätte der Spitzenkandidat der SPD erst im Januar präsentiert werden sollen, doch hatte der Chef die Eigendynamik der Dramaturgie unterschätzt. Als nächster Termin wird deshalb der Parteikonvent am 24. November in Berlin ins Auge gefasst. Auch bei den Renten muss noch sehr viel nachgebessert werden, damit eine gemeinsame Parteilinie gefahren werden kann.
Dies ist auch der Knackpunkt in der Union. So geriet Arbeitsministerin Ursula von der Leyen schon in der eigenen Partei versehentlich aufs Abstellgleis, als sie ihre Vorstellung der Zuschussrente präsentierte. Parteichefin Angela Merkel musste sie zurückpfeifen. Apropos Merkel: Viele meinen, dass die Kanzlerin bei ihren Euro-Rettungsversuchen Deutschland komplett vergessen und vernachlässigt habe. Besonders jetzt, da der Konjunktur-Motor aufgrund nicht mehr vorhandener Aufträge aus dem Ausland ins Stocken gerät. In der Rentenfrage jedenfalls gibt es schon sehr bald ein Treffen Merkels mit ihren Landesfürsten. Diese müssen auf Linie gebracht werden, denn ein erneuter Fauxpas (wie bei der Frauenquoten-Abstimmung im Bundesrat) darf nicht mehr passieren: Das Saarland und Sachsen-Anhalt stimmten für den SPD-Vorschlag, Thüringen brachte gegen die Linie der Bundespartei einen Antrag auf Mindestlohn ein.
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